Diese Handlungsansätze wurden im Anschluss an dem migrationspolitischen Forum vom 10. März 2015 zum Thema „Erwünscht oder geduldet? Neuzuwanderung aus Südosteuropa. Probleme – Hilfe – Chancen“ verfasst.

 

PDF-Version herunterladen

 

1. Einleitung

Die Sozialpolitische Offensive Frankfurt (SPO) ist ein Frankfurter Netzwerk, in dem seit über 20 Jahren der Paritätische und die Arbeiterwohlfahrt, die Caritas und die Diakonie, evangelische und katholische Kirche, Jüdische Gemeinde und Frankfurter Jugendring, DGB, IB und Innere Mission, das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik und das Internationale Familienzentrum zusammenarbeiten. Die Mitglieder der SPO sehen sich in der Mitverantwortung bei der Gestaltung des Gemeinwesens. Sie lösen ergebnisorientierte Debatten über politische und sozialpolitische Fragen aus, die in der Stadt anstehen. Sie sensibilisieren die Öffentlichkeit auch für Probleme, die noch nicht im Zentrum des öffentlichen Diskurses stehen. Das besondere Interesse gilt dabei sozial benachteiligten Gruppen. In den zurückliegenden Jahren ging es um Themen wie Armut, Exklusion, Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben der Stadt, Stadtentwicklung und Wohnraum sowie Arbeitslosigkeit und Beschäftigungspolitik. Die Arbeitsergebnisse wurden im Rahmen von Foren als Anregungen für die Stadtpolitik der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Das jüngste Projekt der SPO ist eine umfassende Auseinandersetzung mit der Zuwanderung von EU-Bürgern aus Südosteuropa. Sie hat sich der Menschen angenommen, die aus Bulgarien und Rumänien zugewandert sind. Diese verfügen oft über keine bzw. nur geringe Kenntnisse unserer Sprache und Arbeitskultur. Vieles bei uns ist ihnen fremd. Sie hoffen vor allem, dass man ihnen bei uns hilft. Erfreulich sind die Initiativen vieler Menschen der Stadtgesellschaft aus Gewerkschaften, Kirchen und Verbänden, durch die Nächstenhilfe erfahrbar wird. Die Diskussion um Zuwanderung veranlasste die SPO, eine Studie durch das Institut für Sozialpädagogik und Sozialarbeit in Auftrag zu geben, die nun vorliegt. Im Rahmen eines Workshops der Mitglieder der SPO wurden aus dieser Studie Anforderungen an die Stadt Frankfurt abgeleitet. Es wurden Überlegungen für konkrete Schritte auf kommunalpolitischer Handlungsebene entworfen.

 

2. Integrationspolitische Handlungsansätze:

2.1. Arbeit

Neuzuwanderer aus Südosteuropa kommen vor allem nach Frankfurt, um Teil unserer Gesellschaft zu werden und hier ihren neuen Lebensmittelpunkt zu finden. Sie möchten keine Almosen, sondern ihr Leben selbst gestalten. Dazu gehört die existenzielle Absicherung durch Arbeit.

Aktuelle Handlungsansätze sehen wir in:

2.1.1. Arbeitsmigration

  • Jährliche Erstellung eines Frankfurter Migrationsberichts durch die Fachstelle für Migration und Gesundheit der Stadt Frankfurt.
  • Schaffung einer zentralen Infostelle über Jobs, die auch an Menschen mit noch geringen Sprachkenntnissen vergeben werden. Zum Beratungsangebot sollten auch Informationen über Wohnen, Arbeitsrecht und Existenzgründung gehören.
  • Sensibilisierung von Unternehmen und Verbänden mit dem Ziel, Zugewanderte in Arbeit zu bringen.
  • Regelmäßige Kontrolle der Arbeitsbedingungen. Jährlicher Bericht der zuständigen Beschwerdestelle (Gewerbeaufsicht auch als Amt für Arbeitsschutz)
  • Errichtung einer Begegnungsstätte für Arbeitsmigranten zur gegenseitigen Unterstützung (Betrieben unter Beteiligung des DGB und DMB)

2.1.2. Vergabebedingungen

Die SPO erwartet von der Stadt Tariflöhne. 8,50 Euro/Std. reichen aus unserer Sicht nicht aus. Nötig ist hingegen ein vergabespezifischer Mindestlohn, der an die unterste Tarifgruppe des öffentlichen Dienstes gekoppelt und regelmäßig angepasst wird. Die Vergabebedingungen der Stadt Frankfurt sind so zu modifizieren, dass auch die Leistungserbringer davon erfasst werden.

  • Vergabe kommunaler Aufträge nur an Firmen, die den gesetzlichen Mindestlohn zahlen, bzw. an solche Unternehmen, die die Beschäftigung von Subunternehmen oder Leiharbeit ausschließen.
  • Firmen, die eine Vergabe gewonnen haben, haften für ihre Subunternehmen.
  • Sanktionierung von Firmen, die den gesetzlichen Auflagen und Mindeststandards nicht entsprechen (Ausschluss von späteren Vergabeverfahren).
  • Sicherung der Arbeitsentlohnung durch Dritthaftungserklärung.

2.1.3. Tariftreue

  • Verwirklichung der Tariftreue in den kommunalen Betrieben, Vereinen und Tochtergesellschaften.
  • Tariftreueerwartungen an Lieferanten von Leistungen an die Kommune.
  • Verpflichtende Anwendung der kommunalen Vergabeverordnung und ihrer Nebenbedingungen als Pflichtaufgaben.
  • Kontrolle der Maßnahmen durch die zuständigen Gewerkschaften. Einrichtung von Schlichtungsstellen zwischen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Politik.
  • Sanktionen, zum Beispiel Konventionalstrafen, Beteiligungssperren bei Ausschreibungen bzw. Kündigung von Dienstleistungs- und Lieferverträgen.
  • Übersicht über Tarif untreue Gesellschaften, an denen die Kommune beteiligt ist bzw. die als Vergabeempfänger bekannt sind (die der Stadt in Form von Vergabeaufträgen zuarbeiten).
2.2. Hilfesystem

Unser Ziel ist es, die Zugewanderten dabei zu unterstützen, möglichst schnell Fuß zu fassen. Notwendig ist der Ausbau von Beratungsprogrammen, die Unterstützung der betroffenen Kommunen, die Abschaffung des Ausschlusses von SGB II-Leistungen für arbeitssuchende EU-Bürger sowie gezielte Förderung der Arbeitsmarktintegration.

Die SPO erwartet einerseits geeignete Rahmenbedingungen, um eine schnelle Teilhabe der Zuwanderer in unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Andererseits muss ein ständiger Dialog mit der Zivilgesellschaft stattfinden. Es gilt, auch für Neuzuwanderer ein bürgerschaftliches Engagement auszubauen und zu stärken. Die Politik muss sich bei der Ausgestaltung von Zuwanderung gegen Ausgrenzung von Menschen stellen und deutlich machen, dass die Integration in unsere Gesellschaft auch für uns hilfreich ist und daher angestrebt wird.

Aktuelle Handlungsansätze sehen wir in:

  • Sprachkurse, Zur-Verfügung-Stellung mehrsprachiger Informationen und Herstellung von Transparenz. Erstellung eines Wegweisers über kommunale und wohlfahrtsverbandliche Angebote in der Stadt.
  • Überarbeitung der städtischen Leitlinien des Runden Tisches zum „Leben im öffentlichen Raum“, um Interessenskonflikte, die durch auffälliges Verhalten im öffentlichen Raum entstehen können, durch Anwendung der Leitlinien zu entschärfen.
  • Weiterentwicklung und Vernetzung des Hilfesystems. Die Stadt benötigt für die Ausgestaltung der Zuwanderung, also für die Versorgung, Begleitung und Beratung ein Gesamtkonzept, das für alle Akteurinnen und Akteuren handlungsleitend ist.
  • Verbesserung der sozialarbeiterischen Interventionsmöglichkeiten durch den Aufbau eines Dolmetscherpools und Stärkung der interkulturellen Kompetenzen bei den Fachkräften.
  • Ausbau der gesundheitlichen Versorgung auch für Nichtversicherte, Akutversorgung: EU-Bürger müssen faktisch Zugang zur Krankenversorgung haben. Das bedeutet, dass sie nach Vorlage der Voraussetzungen des § 5 Abs.1 Nr. 13 SGB V auch tatsächlich in eine Krankenkasse aufgenommen werden.
  • Gewährung der EU-rechtsgemäßen Leistungen nach SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) und SGB XII (Sozialhilfe). Der bisherige Ausschluss fördert die Segregation statt die Integration der Betroffenen. Er führt ferner zu Problemen in anderen Lebensbereichen, etwa zu einem Ausschluss von Krankenversicherungsleistungen und menschenwürdigem Wohnraum.
  • Sicherstellung von Notunterkünften und Ausbau von weiteren Wohnkapazitäten für Menschen in prekären Lebenslagen und unter Berücksichtigung von kulturellen und sozialen Unterschieden.
2.3. Wohnen

Neuzuwanderung aus Südosteuropa trifft in Frankfurt am Main wie in anderen Großstädten auf ein starkes Bevölkerungswachstum und einen steigenden Mangel an bezahlbaren Wohnungen.

Die Wohnungssituation von Zuwanderern aus mittel- und osteuropäischen EU-Staaten wird entscheidend mitbeeinflusst durch die generelle Entwicklung der Wohnungssituation in Frankfurt am Main. Eine der Bevölkerungsentwicklung entsprechende Wohnraumbereitstellung erfordert eine verstärkte Mittelbereitstellung der Stadt Frankfurt am Main.

Einem Großteil der Neuzugewanderten gelingt der Existenzaufbau in Frankfurt am Main. Andere geraten in prekäre Arbeits- und Wohnungssituationen.

Viele Fälle einer gewissenlosen Vermietung von Wohnungen an Familien oder Einzelpersonen zu Wuchermieten beschreiben die Situation und den Handlungsbedarf. Die Notlage von unwissenden Zuwanderern wird in zahlreichen bekannten Fällen auch dazu missbraucht, langjährige Mieter aus ihren angestammten Wohnungen und Quartieren zu vertreiben. Ursache derartiger Praktiken sind menschenverachtende Immobilienspekulationen bis hin zu kriminellem Verhalten.

Die SPO hält eine deutliche Verstärkung des geförderten Wohnungsbaus durch Kommune, Land und Bund für dringend geboten. In Frankfurt am Main fehlen derzeit rund 30 000 bezahlbare Wohnungen. Vorgesehene Neu- und Umbauten reichen bei weitem nicht aus, um die schon jetzt bekannten Bedarfe zu decken. Zusätzliche finanzielle Anstrengungen des Bundes und des Landes sind erforderlich, um das Wohnungsproblem grundsätzlich zu lösen und für Zugewanderte menschenwürdigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Aktuelle Handlungsansätze sehen wir in:

  • Verstärkter Bau geförderter Wohnungen, um zusätzliche Übergangswohnangebote zu schaffen.
  • Engagiertes, abschreckend wirkendes Vorgehen der Stadt Frankfurt gegen menschenverachtende Immobilienspekulation.
  • Zusammenwirken mit Landes- und Bundesbehörden bei der Bekämpfung von Immobilienspekulationen
  • Aktives Zusammenwirken mit Bewohner- und Mieterinitiativen mit dem Ziel eines wirksamen Handlungskonzepts
  • Direkte Ansprache von Zuwanderern vor Ort mit Hilfe muttersprachlicher Persönlichkeiten und schriftlicher Informationen
  • Gezielte Hilfeangebote zur unmittelbaren Stabilisierung und Sicherung der Lebenssituation (auch um Verdrängungs- und Ausbeutungsstrukturen aufzubrechen)
  • Bedarfsgerechte personelle und materielle Ausstattung der beteiligten städtischen Ämter

 

Mit diesen Vorschlägen für konkrete Handlungsansätze möchte die SPO in einen Dialog mit der Stadt Frankfurt eintreten, um die Situation der Neuzugewanderten aus Südosteuropa nachhaltig zu verbessern.

11. März 2015
Dr. Gunter Volz
Dr. Thomas Wagner
Sprecher der Sozialpolitischen Offensive

 

PDF-Version herunterladen