Sozialpolitische Herausforderungen gestern und heute:

20 Jahre Sozialpolitische Offensive Frankfurt am Main

Sehr geehrte Damen und Herren,

20 Jahre SPO – das ist noch lange kein Alter

20 Jahre für einen freiwilligen Zusammenschluss von vielen Verbänden und Organisationen ohne jeglichen rechtlichen Rahmen, – das ist sehr, sehr viel.

 

1. Die Gründung

Es war ein sehr ungewöhnliches Bündnis, das sich im Februar 1992 in den Räumen des Ev. Regionalverbandes traf und die Gründung der Sozialpolitischen Offensive zum 28. April 1992 beschloss: Vertreter der Wohlfahrtsverbände, die beiden großen Kirchen, der DGB und die Unternehmerverbände, der Frankfurter Jugendring und als wissenschaftliche Institutionen das Institut für Sozialforschung und das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik und schließlich der Verein „Künstler in Aktion“.

Der Impuls für diesen Zusammenschluss kam von mehreren Seiten und Personen.

Gemeinsame Erkenntnis war, dass die kommunale Sozialpolitik vor unlösbar erscheinenden Herausforderungen stand:

  • die Arbeitslosigkeit war rasant gestiegen
  • der Wohnungsmarkt wurde immer problematischer, insbesondere für ärmere Bevölkerungsschichten
  • die Zahl der Sozialhilfeempfänger wuchs beständig
  • wachsende Gewaltbereitschaft war zu registrieren, der soziale Friede schien gefährdet.
  • Die Übertragung weiterer Aufgaben auf die Kommunen bei stagnierenden Einnahmen brachte die Kämmerer in eine fast aussichtslose Lage, in der sie schließlich entscheiden mussten, wie es in der Sozialpolitik weiter geht.
  • Hoher Reformbedarf in der Sozialpolitik bei gleichzeitig immer geringerer Resonanz in gesellschaftlichen Organisationen und Parteien für soziale Fragen, – das alles führte zu der Aussage im Gründungspapier der SPO:
  • „Der gesellschaftliche Konsens, soziale Not durch Solidarität zu überwinden, steht in Frage.“

Und Ziel war es:

  • den Kernbestand an sozialen Leistungen zu bewahren und die Finanzierung zu sichern
  • Raum zu schaffen für neue Konzepte in der Sozialarbeit
  • Die Mitarbeit aller Menschen guten Willens in Wirtschaft und Gesellschaft bei der Lösung sozialer Probleme zu fördern
  • Die Sozialpolitik nicht als Reparaturbetrieb zu verstehen, sondern bereits präventiv einzugreifen.

Es war selbstverständlich, dass die Eigenständigkeit der beteiligten Organisationen gewahrt blieb und dass die SPO unabhängig von politischen Parteien agierte. Darüberhinaus suchte die SPO die Zusammenarbeit mit allen, die bereit sind, sich für den Abbau von sozialen Problemsituationen und sozialer Ungerechtigkeit einzusetzen.

Erstes konkretes Ziel war es, „durch regelmäßige Berichterstattung die soziale Situation in Frankfurt exemplarisch darzulegen“. Der Zusammenhang von Armut und Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Gesundheit sollte durch städtische Berichte erhellt werden.

Durch Gespräche mit dem Magistrat sollte eine gemeinsame Sozialplanung in Frankfurt gewonnen werden.

Das offizielle Gründungsdatum war bewusst der 28. April 1992 in der Nähe zum 1.Mai, dem Tag der Arbeit. „Arbeit ist ein zentrales Verteilungskriterium für den sozialen Status in der Gesellschaft“.

2. Was ist nun aus diesem ungewöhnlichen „Aufbruch“ geworden ?

In den ersten Jahren (bis ca. 1997) war der „Armutsbericht“ zentrales Thema. Dabei ging es nicht darum, die Sozialhilfestatistik ein wenig aufzuarbeiten, sondern die Armutsrisiken der Stadt Frankfurt in Bezug auf Arbeit, Wohnen, Gesundheit, sozialräumliche Entwicklung in all ihrer Komplexität aufzuarbeiten. Damit sollte eine Grundlage geschaffen werden für eine nachvollziehbare Sozialplanung, die weit über das Nebeneinander von städtischen Ämtern und Dezernaten hinausgehen sollte.

Begleitet durch den Arbeitskreis Armutsberichterstattung der SPO und durch einen umfassend zusammengesetzten Beirat wurde der erste Frankfurter Sozialbericht im Jahr 1996 vorgelegt, ein vom unabhängigen „Frankfurter Büro für Armutsberichterstattung“ von Peter Bartelheimer erstellter komplexer Bericht. Dieser Bericht hat in der bundesdeutschen Fachwelt sehr viel Anerkennung und Lob erfahren, – allerdings war er für die kommunalpolitische Landschaft in Frankfurt doch wohl ein wenig zu komplex. In seiner Folge beschloss die Stadtverordnetenversammlung jedenfalls, dass die Weiterführung der Armutsberichterstattung wieder in städtische Regie kommen sollte. Zahlreiche Einzelberichte sind danach durch die städtische Sozialplanungsgruppe erstellt und veröffentlicht worden. Allerdings ohne den intensiven Kommunikationsprozess, der die Erstellung des Ersten Frankfurter Sozialberichts begleitet hatte.

Die Berichterstattung über Armutsentwicklungen ist für die Politik immer ein riskantes Vorhaben. Denn allzu leicht können die Ergebnisse gegen die Politik gewendet werden. Man holt sich dadurch gegebenenfalls seine eigene Kritik ins Haus. Das will so gern keiner. Und förderlich für eine Wiederwahl erscheint es auch nicht.

Das Plenum der SPO trat in der Regel 3-4mal im Jahr zusammen. Daneben wurden Arbeitskreise eingesetzt, die sich unterschiedlichen Themen widmeten:

Der Arbeitskreis Beschäftigungspolitik bereitete eine Reihe von Foren und workshops vor, auf denen die Arbeitsmarktsituation und die weit gestreuten beschäftigungspolitischen Initiativen beraten wurden. Im Ergebnis wurde eine Stelle geschaffen, die die beschäftigungspolitischen Maßnahmen in Kooperation mit der Arbeitsverwaltung koordinieren sollte.

Auch in der Wohnungspolitik kümmerte sich die SPO um eine Sicherung der Belegungsrechte der Stadt im ganzen Bestand der Wohnungsgesellschaften.

Das war durch den Frankfurter Vertrag gewährleistet, der allerdings von den Wohnungsgesellschaften aufgekündigt worden war. Zum einen erreichte die SPO, dass das Thema Wohnungspolitik überhaupt wieder auf die kommunalpolitische Agenda kam, aber schließlich wurden die Änderungen des Frankfurter Vertrags und der Vergaberichtlinien doch beschlossen (1996).

Der Arbeitskreis Frankfurter Sozialpolitik befasste sich mit der Erstellung sozialpolitischer Thesen und dem Versuch, eine umfassende Reform der Finanzierung und Organisation der sozialen Arbeit in Frankfurt anzustoßen. Die „Frankfurter Sozialpolitischen Gespräche“ waren der Ort, an dem diese Diskussion geführt wurde.

Damit hat die SPO eine besondere Stärke unter Beweis gestellt, weitgehend unabhängig von eigenen Trägerinteressen die Organisation der sozialen Arbeit in Frankfurt auf den Prüfstand zu stellen und einen Rahmen für eine konstruktive fachkundige Diskussion zu bieten. Vieles von dem, was damals diskutiert wurde, ging vermutlich zu sehr in das „Eingemachte“ der städtischen Organisation, und die Bereitschaft zur Veränderung war dann nicht immer leicht auszumachen.

Ob aus dieser Phase langfristig Veränderungen passiert sind, ist für mich leider nicht deutlich zu beschreiben. Zu viele Umstrukturierungen, Veränderungen durch die grundlegend neue Sozialgesetzgebung sind seither eingetreten.

Die SPO war in dieser Zeit für die Stadt kein ganz bequemer und klar zuordenbarer Gesprächspartner. Wenn – um ein Beispiel zu nennen – Dieter Hooge vom DGB und Stephan Fischbach von den Hessischen Unternehmerverbänden neben Esther Gebhardt vom Evangelischen Regionalverband und Hejo Manderscheid vom Caritasverband und Esther Weitzel-Polzer von der AWO mit gemeinsamen Themen auftauchen, dann müssen sich die städtischen Gesprächspartner erst einmal daran gewöhnen. Dieses unvollständige Personenbild zeigt natürlich deutlich, dass die SPO geprägt war davon, dass die beteiligten Personen diesen ungewöhnlichen Zusammenschluss wollten, aber dass es auch innerhalb der SPO Grenzen gab, die schwierig zu überwinden waren.

So war es schließlich Ende der 90er Jahre auch nicht ungewöhnlich, dass die Vertreterin der Hessischen Unternehmerverbände aus der SPO austrat. Das geschah ohne große Konflikte und im Einvernehmen, auch wenn viele Mitglieder dies bedauert haben.

Ohne den gemeinsamen Kristallisationspunkt der Armutsberichterstattung war es in den Folgejahren etwas ruhiger um die SPO. Die Arbeitskreise arbeiteten zwar weiter, aber es fehlte eine umfassend formulierte gemeinsame Basis. Karl Koch, der mit mir zusammen diese ersten Jahre geschäftsführend begleitet hatte, übergab im Jahr 2000 den Stab an Barbara Schindler-Bäcker, Pfr. Werner Schneider und dann Gunter Volz folgten mir nach.

1997 schrieben Thomas von Freyberg und Peter Bartelheimer im von Walter Hanesch herausgegebenen Sammelband mit dem Titel „Überlebt die soziale Stadt?“ eine auch heute noch sehr lesenswerte Zwischenbilanz zur SPO.

Dort heißt es: „Die Stärken der SPO als eines Rahmenbündnisses liegen dort, wo sich die engen Grenzen der einzelnen Ressorts und Fachpolitiken als hinderlich erweisen, die Krise der sozialen Stadt in den Blick zu nehmen. Sie gab den Anstoß für eine unabhängige kommunale Sozialberichterstattung und für eine koordinierte kommunale Arbeitsmarktpolitik. Sie schuf ein Forum für die Diskussion der Zukunftsfragen des lokalen Sozialstaats. All diesen Initiativen ist gemeinsam, dass sie auf die wesentlichen Freiheitsgrade örtlicher Sozialpolitik abstellen, die Zielauswahl und das Gemenge sozialer Hilfen. Sie konnte dies tun, weil sie als neuartiger Zusammenschluss der nichtstaatlichen Akteure im Politikfeld die Autorität hatte, von allen Instanzen neue Diskussions- und Kooperationsbeziehungen zu fordern. Die SPO ist zu einer festen Größe in der Frankfurter Sozialpolitik und zu ihrer ersten Adresse für Reformdiskussionen geworden.“ (S. 206)

3. Ausblick

Mit den neun Thesen zur Sozialen Stadt hat sich die SPO in den letzten Jahren (2011) eine neue Grundlage gegeben, die die Weiterführung der Reformdiskussion in Frankfurt sichert.

Frankfurt ist eine Soziale Stadt. Dazu haben auch in den vergangenen Jahren die Stadtkämmerer beigetragen, die allesamt ein starkes sozialpolitisches Verantwortungsbewusstsein hatten. Aber gerade aus diesem Grund ist es dringend, die weiter vielfach verfaserte, nur selten auf einem formulierten gesellschaftlichen Konsens beruhende Sozialpolitik immer wieder neu anzustacheln, nicht nur mit einem „Weiter so“, „Funktioniert doch“ an die Herausforderungen auch unserer Zeit heranzugehen. Dafür ist so ein Rahmenbündnis, wie es in der SPO nun seit 20 Jahren existiert, ein unverzichtbarer Akteur !

Ich wünsche der SPO, dass sie diese Aufgabe weiterhin mit Engagement, mit einem mutigen Blick über den Tellerrand des träger- und verbandsorientierten Handelns verfolgt. Das heutige Forum am Gründungsort der SPO ist dafür sicher eine gutes Beispiel. Der wertschätzende, kritische Dialog ist nötig, – ein langer Atem auch.

Dann bleibt die Stadt Frankfurt eine soziale Stadt mit guten Zukunftsaussichten.

Karsten H. Petersen                       November 2012

20 Jahre Sozialpolitische Offensive Frankfurt am Main